Islamischer Staat in Facebook und Twitter

Eine Analyse zur Social-Media-Strategie

21.01.2016  |  Markus Kehrer  |  Tag1, Tag2, Tag 3

Einleitung

Spätestens heute, fast 5 Jahre nach dem Beginn des arabischen Frühlings in Tunesien 2010, ist uns als Gesellschaft klar, welche Kraft hinter der Vernetzung vieler Menschen über Social-Media Kanäle wie Facebook, Twitter und Co steckt. Vorbei an der Kontrolle der Regierung, organisierte sich die Bevölkerung mit Hilfe solcher Kanäle und löste damit landesweite Massenproteste aus. 

Doch was als friedliche Revolution begonnen hat, wird heute vermehrt auch von terroristischen Organisationen genutzt. Die Terrorgruppe IS (Islamischer Staat, ehemals Islamischer Staat Irak und Syrien) macht in den letzten Jahren immer wieder durch sehr hohe Aktivität in den sozialen Medien auf sich aufmerksam. Laut einer Statistik des Brookings Instituts verzeichnete Twitter im Jahre 2012 schon ganze 2.380 pro-ISISAccounts, während sich diese Zahl im folgenden Jahr fast verdoppelt und im Jahre 2014 dann auf über 11.902 anstieg, was einer Wachstumsrate von über 270% entspricht. Dabei geht die Terrorgruppe so gezielt vor, dass sich die Frage nach einer geplanten Online- Marketing-Kampagne aufdrängt. So wie auch Unternehmen in der freien Wirtschaft Kampagnen in den sozialen Kanälen schalten, um Reichweite und Relevanz zu erzeugen. Verfolgt ISIS wohl möglich dieselben Ziele?

Abu Musab al-Zarqawi

Der IS entstand aus der Gruppe „Jama´at al-Tawhid wal-Jihad“, gegründet von dem Islamisten „Abu Musab al-Zarqawi“. Viele Strategien und Methoden basieren auf seinen Aktionen. Zum Beispiel die Guantanamo-Gefangenenanzüge der Geiseln in diversen Enthauptungen. Die Gruppe entwickelte sich zu einem Arm von al-Qaeda, nachdem al- Zarqawi am Ende des Afghanisch-Russischen-Krieges Osama-bin-Laden kennenlernte, der sein Vorhaben finanziell unterstützte. In dieser Zeit arbeitete er auch als Reporter für eine Islamistische Zeitung, was wohl erklärt warum er schon früh die Wichtigkeit des Krieges der Bilder erkannte. 

Die beiden Organisationen entfernten sich aber mit der Zeit voneinander, da al-Qaeda ihren primären Feind in der entfernten westlichen Welt sieht, wohingegen al-Zarqawi primär andersgläubige Muslime in den umliegenden und im eigenen Land terrorisiert. Zu großen Teilen auch Schiitische Gemeinden, die Osama-bin Laden nicht als Gegner sieht.

Ahmad Abousamra

So sehr al-Zarqawi den Krieg der Bilder befeuerte, so richtig Erfolgreich wurde ISIS in den Medien und damit der Aufmerksamkeit in der Welt erst durch einen anderen Mann. Ein ehemaliger Student aus Boston im Bundesstaat Massachusetts der USA, der es seit einigen Jahren immerhin auf die Liste der „Most Wanted Terrorists“ des FBI (Federal Bureau of Investigation) geschafft hat. Sein Name ist Ahmad Abousamra und viele Experten und Journalisten glauben, dass er der Kopf hinter der Social Media Kampagne, sowie den aufwändig produzierten Imagefilmen ist. 

Ahmad Abousamra ist als Sohn eines bekannten Endokrinologen in Frankreich zur Welt gekommen. Er wuchs jedoch in Stoughton, einer Stadt in der Nähe von Boston, auf und besuchte nach einer katholischen Schule die Stoughton High School. Er war wohl ein exzellenter Student und konnte sich viel Wissen aus den Bereichen Kommunikation und Informationstechnologie aneignen. Ebenso in seiner anschließenden Stelle in einer amerikanischen Telekommunikationsfirma. Dieses Wissen nahm Abousamra nach seiner Radikalisierung mit in die Terrorgruppe und zeichnete sich dort verantwortlich für vielerlei Projekte. Zum Beispiel soll er die App „Dawn of Glad Tidings“ programmiert haben, welche es Nutzern ermöglicht Neuigkeiten aus der islamistischen Welt in Iraq und Syrien zu erhalten. Mit dieser App ist es dem IS unter anderem gelungen eine regelrechte Aufmerksamkeitswelle auf Twitter loszutreten. 

Er soll es auch gewesen sein, der die Qualität der Filmproduktionen der Terrorgruppe auf ein neues Level anhob. Aufwändige Reportagen, übersetzt in mehrere Sprachen und Hollywood-reife Actionsequenzen sollen Macht nach außen demonstrieren. Er war für den IS also ein sehr wichtiger Mann, wurde jedoch erst vor kurzer Zeit durch einen Luftschlag der Irakischen Armee getötet. Damit verliert die Terrorgruppe einen wichtigen Soldaten im Kampf der Bilder. Doch mittlerweile gibt es ein Geflecht aus Medien- und Produktionshäusern, die Medien aller Art für den IS produzieren und senden. Natürlich ist dieser Kampf zu wichtig, um ihn nur einer Person zu überlassen.

Al Hayat Media Center

Das „Al Hayat Media Center“ ist die selbsternannte Medienabteilung des Islamischen Staates, wie man es schon auf der Startseite ihrer Internetpräsenz nachlesen kann. Dort zählen Sie auch eines ihrer Hauptziele auf: „Media center is addressing Muslims in several foreign languages“. Ihre Produktionen zeichnen sich dadurch aus, auf den internationalen Markt ausgerichtet zu sein. So werden viele Videos übersetzt oder mit mehreren Sprachen untertitelt. Die Zielgruppe liegt also nicht im eigenen Land, sondern außerhalb und stellt damit eine wichtige Komponente in der Rekrutierung neuer Kämpfer dar. 

Als einer der führenden Köpfe des Al Hayat Media Center wird ein ehemaliger Deutscher Staatsbürger vermutet. Der bekannte Deutsche ex-Musiker Abu Talha Al Amani (früher bekannt unter dem Künstlername Deso Dogg) wechselte nach seiner Radikalisierung und aktiven Kämpfen für den islamischen Staat in das Al Hayat Media Center um für den IS in der Propagandamaschine weiter zu arbeiten und seinen Glauben zu predigen. 

Zu den wichtigen Veröffentlichungen des Al Hayat Media Centers zählen unter anderem Propagandavideos zur Rekrutierung ausländischer Kämpfer. In diesem Video versuchen australische und britische IS-Kämpfer den Zuschauer vom Jihad (Anstrengung auf dem Wege Gottes) zu überzeugen und in die Kampfgebiete in Syrien und Iraq zu locken. Und das unter dem Slogan „There is no live without Jihad“, was alleine schon eine große Bedeutung hat. Sagt es doch aus, dass es außer dem Jihad keine andere Art zu leben geben kann.

Eine weitere sehr prominente Veröffentlichung des Medienhauses ist das Video „Flames of War“. In dieser fast eine Stunde langen Dokumentation wird mit Hollywood-reifen Effekten und Schnitten die Welt des islamischen Staates gezeigt. Von der Entstehung der Terrorgruppe während des Irak-Krieges, über Zitate aus dem Koran zur Rechtfertigung der Gruppe, bis hin zu Kriegspropaganda und dem Aufruf zum Jihad. Die Veröffentlichung des Videos im September 2014 markiert einen Wendepunkt in der Geschichte vom IS und der Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Sie werden nicht länger als lose organisierte Terrorgruppe, sondern mehr als eine strukturierte Armee mit guter Ausrüstung und einer starken Ideologie gesehen. Die Verbreitung von Angst sorgt dafür die Gefahr, die ISIS verkörpert, größer zu sehen als sie eigentlich ist.

Al Furqan Media Foundation

Die Al Furqan Media Foundation zeichnet sich verantwortlich für das ebenfalls prominente Video der Enthauptung des amerikanischen Journalisten James Foley über das weltweit berichtet wurde.19 Eine weitere Reihe von interessanten Veröffentlichungen bilden Videos um den britischen Journalisten John Cantlie, der ein Zellennachbar von Foley war. Cantlie wurde, zumindest bisher, nicht von der Terrorgruppe getötet. Stattdessen wurden seine Fähigkeiten als Journalist und Moderator vom IS genutzt um eigene Beiträge zu produzieren. In den ersten Videos sehen wir Cantlie im typischen orangen Overall auf einem Stuhl sitzen und die angebliche Wahrheit des islamischen Staates erklären21. In späteren Videos zieht er in zivilen Klamotten in den Straßen von Mosul umher (ein zur Zeit vom IS besetztes Gebiet im norden Iraks, Stand 09.07.2015), um das lebhafte Treiben auf den Straßen zu zeigen und den Zuschauer davon zu überzeugen, dass von ISIS kontrollierte Gebiete alles andere als Kriegsgebiete sind. Dass das Leben in einem vom IS kontrolliertem Gebiet nicht wirklich angenehm ist, zeigt ein Bericht der britischen BBC mit Eindrücken des Lebens vor Ort. Frauen müssen sich verschleiern, Minderheiten werden unterdrückt, Bewohner überwacht und das Recht der Scharia wird ausgerufen. 

Es ist nicht bekannt ob John Cantlie gezwungen wurde diese Berichte zu produzieren oder ob er einer Gehirnwäsche unterzogen wurde. Jedenfalls ist seit dem letzten Video in Mosul nichts mehr von Ihm zu hören. In dem ersten Video mit seinem Auftreten, äußert er sich zu der Gefangenschaft „Well, it´s true. I´am a prisoner, that i can´t deny. But seeing as i´ve been abondend by my goverment, my faith now lies in the hands of the islamic state. I have nothing to loose.“

Global Islamic Media Front

Die Global Islamic Media Front ist nicht nur spezialisiert in der Produktion von Videos und Reportagen, sondern ist auch in den sozialen Medien, ganz besonders Twitter, unterwegs und verbreitet Propaganda auf dieser Plattform. Diese Produktionsstätte ist vor allem für Produktionen von al-Qaeda bekannt und beinhaltet auch die bekannte Produktionsstätte As-Sahab, welche unter anderem Videos für Osama-bin Laden hergestellt hat und für dessen Propagandamaschinerie verantwortlich war. Des Weiteren veröffentlichte die GIMF Reportagen mit dem schon bekannten deutschen Kämpfer Abu Talha Al Amani, was die Verbindungen zu der Terrorgruppe IS bestätigt.

Forschungsstand

Aufgrund der noch immer sehr großen Aktualität des Themas islamischer Staat und der großen Aufmerksamkeit die dieses Thema geniest, sind einige wissenschaftliche Texte zu diesem Themengebiet im Umlauf. Zum einen sei da das Werk "Twitter and Jihad: the Communication Strategy of ISIS“ von Monica Maggioni und Paolo Magri genannt, welches versucht einige Aspekte der Kommunikationsstrategie des IS zu analysieren. Dabei werden sowohl Aussagen über Entstehung, die Inhalte und ihre Bedeutung, sowie Ziele und Thesen der Strategie gemacht. Das Werk ist eine Sammlung von Aufsätzen mehrere Autoren, herausgebracht vom renommierten italienischen Institut für internationale Politikwissenschaften ISPI. 

Weiterhin gibt es eine Veröffentlichung der Autorin Jytte Klausen mit dem Titel „Tweeting the Jihad: Social Media Networks of Western Foreign Fighters in Syria and Iraq“. Dabei handelt es sich um eine Analyse der relevantesten Twitter-Accounts, die Vernetzung dieser Accounts und deren Inhalt. Die Autorin kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass die Aktivität der Terrororganisation in den sozialen Medien von hoher Stelle geplant und durchgeführt wird. Die dazu formulierte Arbeitshypothese lautet: „Our working hypothesis, therefore, was that what appears to be a spontaneous stream of selfpublication using social media is, in fact, controlled communications.“32. Zum Themenfeld des Social-Media Marketings gibt es einige Veröffentlichungen, unter anderem das Standardwerk „Praxisorientiertes Online-Marketing“ von Ralf T. Kreutzer, welches als Basis der Methodik dieser Ausarbeitung dienen soll.

Fragestellung

Die sich daraus ergebende Fragestellung, welche untersucht werden soll, lautet wie folgt: Was sind die Grundlegenden Hypothesen der Social-Media-Strategie des IS und was sind die Ziele der Strategie?

Die Strategie

Ein erfolgreiches Social-Media-Marketing setzt einige grundlegende Dinge und die Beachtung einiger Spielregeln voraus, die auch für die Terrorgruppe ISIS gelten. Diese Dinge sollen in diesem Kapitel beschrieben und auf die Aktivitäten jener Terrorgruppe übertragen werden. Zunächst jedoch die Frage, was genau wir unter Social-Media- Marketing verstehen. Der Auto Ralf T. Kreutzer beschreibt es in seinem Buch „Praxisorientiertes Online-Marketing“ wie folgt: 

„Im Zuge des Social-Media-Marketings versuchen Unternehmen, Social Media (auch soziale Medien genannt) zur Erreichung eigener Marketing-Ziele nutzbar zu machen. Unter dem Begriff soziale Medien werden Online-Medien und -Technologien subsumiert, die es den Internet-Nutzern ermöglichen, einen Informationsaustausch online durchzuführen, der weit über die klassische E-Mail-Kommunikation hinausgeht.“ 

Unter Social-Media-Marketing verstehen wir also alle Aktivitäten die ein Unternehmen unternimmt, um ihre gesetzten Ziele über die sozialen Kanäle zu erreichen. Das gilt auch für den IS, die zwar kein Unternehmen sind, aber sehr wohl eine organisierte Gruppe die gemeinsame Ziele verfolgt und dabei auch auf elektronische Kommunikationsmittel zurück greift. Die Elemente und Prozesse des Social-Media-Marketings sind also ohne weiteres auf die Gruppe anwendbar. 

Die gesamte Kommunikationsstrategie des IS besteht aus vier verschiedenen Medientypen. Videos , Social Media / Foren, Zeitschriften / eBooks, sowie klassische Medien wie Radio und Anzeigetafeln.

Handlungsfelder

Die schon genannten Ziele eines Unternehmens sind dabei ein elementares Element, das im Grunde alle anderen Aktivitäten mitbestimmt und mitgestaltet. Dabei ist es ganz wichtig zu beachten, dass die Ziele des Social-Media-Marketings aus den Unternehmenszielen heraus abgeleitet sind und nicht erst neu erfunden werden, was auch der Autor Ralf T. Kreutzer in seinem Buch festhält. Die Ziele hängen dabei auch grundlegend von der Art und Intensität der Kommunikation des Unternehmens in den sozialen Medien ab. Dazu definiert Ralf T. Kreutzer drei Handlungsfelder, aus welchem man sich eines für das eigene Marketing aussucht. Dazu zählen zum einen „Zuhören“, welches ausschließlich das Beobachten der sozialen Medien betreffend der eigenen Marke beschreibt. Dazu kommt das „Reagieren“, was das Einmischen des Unternehmens in den Dialog beschreibt. Und die letzte Form mit der umfassendsten Form der Einmischung bildet das „Agieren“, was zusätzlich zum Einmischen in den Dialog das Schaffen von eigenen Plattformen und Diensten bedeutet. Dabei steigt das Risiko des Versagens bei diesen drei Formen, genauso wie die Möglichkeit auf Erfolg und virales Marketing. 

Die Terrorgruppe IS setzt genau auf diese Methode des Agierens. Sie mischen sich nicht nur in bestehenden Communitys ein, sondern schaffen auch neue Plätze für Nutzer zum Austausch von Informationen. Wie zum Beispiel das soziale Netzwerk „Kilafahbook“, welches als Konkurrenz zu Facebook vom IS entwickelt wurde. Die Organisation ist dabei sogar multimedial unterwegs und verbreitet ihre Ansichten in fast allen klassischen sozialen Medien (Facebook, Twitter, Youtube), mittels Wort, Schrift und Bild.

Ziele

Der erste Schritt bei der Konzeption ist das Definieren der Ziele, die mit der Social-Media Kampagne erreicht werden sollen. Wie schon erwähnt, sollen diese Ziele im besten Fall aus den Unternehmenszielen abgeleitet sein und diese direkt betreffen. Aus einer Statistik des Bundesverbands für Digitale Wirtschaft gehen die wichtigsten Gründe für die Nutzung von Social Media in Unternehmen hervor, sortiert nach ihrer Wichtigkeit (siehe Abbildung). Auch die Terrorgruppe ISIS spielt hier nicht außer Konkurrenz, sondern bedient sich auch einer ganzen Reihe klassischen Gründe und Ziele. Es folgt eine Analyse der wichtigsten Gründe und ihre Anwendbarkeit auf den IS.

Steigerung der Bekanntheit

Aufmerksamkeit zu generieren, ist eines der Hauptziele der Terrorgruppe. Dabei verfolgen sie 3 Teilziele. Zum einen das terrorisieren der Gegner, was Chaos und Panik erzeugen soll. Zum anderen das Demonstrieren von Macht und Grausamkeit, was die subjektiv ausgehende Gefahr der Gruppe stark steigert. Und zuletzt ist das Rekrutieren von neuen Soldaten ein Ziel, welches der IS mit der Steigerung der Bekanntheit erreichen will.

Terrorisieren

Das terrorisieren des Feindes und damit die Verbreitung von Angst und Schrecken, hat der IS in den letzten Jahren perfektioniert. Jeder kennt die Videos, in denen Gefangene in orangenen Anzügen vor Männern mit Maschinengewehren knien. Ein sehr prominentes Beispiel, ist die Enthauptung des amerikanischen Journalisten James Fouley. Dieser wurde in Syrien vom IS gefangen genommen und ein Jahr später vor laufender Kamera enthauptet. Dabei wird auf die explizite Darstellung von Gewalt nicht verzichtet, um diese zu unterstreichen und Angst zu verbreiten. Auch die Verwendung von Symbolen, wie eben das tragen orangefarbener Gefangenenanzüge (Anspielung auf Guantanamo), gehört mit dazu. Als das Video am 19. August 2014 bei Youtube hochgeladen wurde, folgte eine weltweite Welle der Entrüstung. So gut wie alle Medien berichteten über das Video und viele führende Staatsmänner gaben Erklärungen zu diesem Fall heraus. Der Islamwissenschaftler Christoph Günther äußert sich in einem Interview mit der Deutschen Welle zu der Frage was die Botschaft des Videos sei: 

„Die Hauptbotschaft ist die der Rache. Die ästhetische Aufmachung spricht eine klare Sprache. Dass das Opfer wie die Gefangenen in Guantanamo einen orangefarbenen Anzug trägt, transportiert die Botschaft: "Wir kehren die Verhältnisse um."“

Demonstrieren von Macht

Das demonstrieren der eigenen Macht, ist nicht nur für die sozialen Medien wichtig, sondern auch für den Krieg an der Frontlinie. So gesehen im Fall Mosul (die zweit größte Stadt Iraks), als der IS im Juni 2014 die komplette Stadt ohne größere Verluste einnehmen konnte. Dies Möglichkeit bot sich Ihnen, da viele Sicherheitsbeamte und Polizisten die Stadt noch vor dem Angriff aus Angst vor der Gruppe verließen. Das kann als direkte Folge der Verbreitung von Schrecken seitens der Terrorgruppe gesehen werden.

Rekrutierung

Wie wichtig dem islamischen Staat die Rekrutierung neuer Soldaten ist, zeigt sich in dem ersten veröffentlichten Video der Terrorgruppe, in welchem das Kalifat ausgerufen und die Daseinsberichtigung der Gruppe beschrieben wird. Der Moderator des Videos, dem Aussehen nach zu urteilen ein IS-Soldat, kommt nicht aus dem Irak oder Syrien. Er kommt aus Chile, was gleich am Anfang des Videos mit dem Untertitel „Abu Safiyya from Chile“ klargestellt wird. Was will uns der gebürtige Chilene mit dem ursprünglichen Namen „Bastián Vásquez“ und der IS damit sagen, dass gleich im ersten Video ein Ausländischer Kämpfer die Moderation übernimmt? Sehr wahrscheinlich will die Gruppe damit ihre Internationale Ausrichtung darlegen und sich vor allem an potentielle Rekruten im Ausland richten. Das bestätigt auch die Sprache des Videos, welche nicht Arabisch, sondern Englisch ist. Die Autorin Monica Maggioni kommt in ihrem Aufsatz „The Islamic State: Not That Suprising, If You Know Where To Look“ zu folgendem Schluss: 

„Abu Safiyya was chosen because he represents what the new ISIS wants to be: he is the symbolic representation of its message and, at the same time, of its main target audience.“

Rekrutierungsstrategie

Diese Strategie verfolgt die Terrorgruppe auch in den sozialen Medien. Ganz besonders auf Twitter finden sich unzählige Accounts, die zum Jihad auffordern. Zum Beispiel der Account „The Haqq Witness“. Haqq bedeutet in diesem Zusammenhang Wahrheit, womit sich der Titel des Accounts mit „Die Zeugen der Wahrheit“ übersetzen lässt. Die Betreiber des Accounts bezeichnen sich selbst also als die Träger der Wahrheit und versuchen in ihrem Account ihre Version der Wahrheit zu verbreiten. An vielen Stellen finden Verlinkungen und Retweets (weitergeleitete Tweets) zu anderen Pro-ISIS Accounts statt und hin und wieder findet man auch Verlinkungen zu Koranschulen, wie zum Beispiel im Profilbild des genannten Twitter- Accounts. 

Die Strategie lautet also, Menschen von der angeblichen Wahrheit überzeugen, um sie dann in Koranschulen zu schicken, welches die nächste Stufe zur Anreise in den Irak oder Syrien ist. So erklärt in einem Interview mit der CNN ein angeblicher Helfer des Rekrutierungsprozesses, wie dieser von statten geht. Der Mann erzählt davon, wie er mittels direkter Nachrichten zu westlichen Usern Kontakt aufnimmt, um diese davon zu überzeugen entweder im eigenen Land oder in Syrien für den Islam zu kämpfen. Der IS stellt auf Twitter Accounts bereit, die zum direkten Kontakt mit religiösen Personen auffordern. So zum Beispiel der Account „@BanuKablalah“ der im Infotext des Accounts mit folgender Text zum Kontakt auffordert: 

„O jews/christians, wanna know the bible's true message? DM me and i'll tell you.“, 

Wobei DM in diesem Zusammenhang „direct message“, beziehungsweise direkte Nachricht bedeutet. Es wird sogar eine Information zu den Sprachkenntnissen des Accounts- Inhabers angegeben, um es den westlichen Usern noch einfacher zu machen. 

Die Vorstufe zur Kontaktaufnahme, bildet natürlich die Generierung von Aufmerksamkeit. Wie schon beschrieben, versucht der IS das häufig mittels Überzeugung zur angeblichen Wahrheit. Beispielsweise der Account „@counter_terror3“. Hier finden sich viele Verlinkungen zu IS-Propagandavideos, wie zum Beispiel das erwähnte Video „Flames of War“ des Al Hayat Media Centers, und die Klare Aussage im Titelbild „You´re brainwashed“. Der Account versucht also zu vermitteln, dass der Nutzer einer Gehirnwäsche Unterzogen wurde (wahrscheinlich von den westlichen Medien) und, dass auf diesem Account die eigentliche Wahrheit vermittelt werden kann. Der IS nutzt also die sozialen Medien (und dabei ganz besonders Twitter) um neue Soldaten für den Krieg in Syrien und Irak zu rekrutieren. Dass das funktioniert, belegt eine Schätzung der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte vom Februar 2015. Unter der Terrorgruppe könnten demnach bis zu 20.000 ausländische Kämpfer ihren Dienst verrichten. Auch der Autor Marco Lombardi kommt in seinem Aufsatz „IS 2.0 and Beyound: The Caliphate`s Communication Projekt“ zu dem Schluss, dass die Terrorgruppe die sozialen Medien effizient zu nutzen wissen: 

„The Islamic State alone has managed to make the most of social media (Facebook and Twitter in particular), both as specific tools for recruitment and as instruments that are coordinated with other media to achieve broader goals.“

Verbesserung des Images

Die Verbesserung des Images setzt mit der Nutzung von Social-Media nicht ohne weiteres ein. Denn eine direkte Steuerung des Images ist nicht möglich, jedoch können negative Äußerungen berichtigt (Ziel siehe Abbildung 1: Reagieren auf Probleme / Unzufriedenheit) und positive Äußerungen verstärkt werden. Unternehmen in der freien Wirtschaft erreichen dies zum Beispiel durch schnelle und direkte Reaktionen auf negative Äußerungen gegenüber der Marke. 

Die Verstärkung positiver Äußerungen ist eine Methode die gerne und häufig von Unternehmen genutzt wird. Zum Beispiel berichtet ein Hersteller von Lautsprechern über den Gewinn einiger Leser-preise. Dadurch hofft man die Meinungsbildung über die Marke positiv zu beeinflussen. Für diese Methode gibt es jedoch keinen Erfolgsgarant. Laut dem Autor Ralf T. Kreutzer gilt es besonders auf Ehrlichkeit und Authentizität zu achten. Unternehmen die mit unlauteren Mitteln arbeiten haben es schwer. 

Doch auch die Terrorgruppe IS macht davon Gebrauch und verbreitet so zum Beispiel Bilder von IS-Soldaten die armen Kindern essen geben oder von Helfern, die die Straßen reparieren und dekorieren. Der IS erhofft sich davon die Legitimierung, beziehungsweise Anerkennung des eigenen Staates, oder mit den Worten der Autorin Monica Maggioni: „So, according to them, the IS is a state whose first objective is to explain the ideal foundations and political objectives that justify its establishment and existence.“

Besserer Zugang zur Zielgruppe

Mit der Wahl der Social-Media-Kanäle Facebook, Twitter und Youtube hat der IS eine gute Grundlage für den Zugang zur Zielgruppe geschaffen. Alleine Facebook hat nach eigenen Angaben über 1,44 Milliarden monatlich aktive Nutzer vorzuweisen. Bei Youtube ist ebenfalls von Nutzerzahlen über eine Milliarde die Rede und auf Twitter tummeln sich immerhin 302 Millionen monatlich aktive Nutzer. Die Wahrscheinlichkeit hier die richtige Zielgruppe zu finden erscheint relativ hoch. Doch wer ist eigentlich die Zielgruppe des IS und seiner Social-Media-Strategie? 

Wie schon im Kapitel 5.2.1.3 erwähnt, sind für die Social-Media-Strategie hauptsächlich Ausländer, welche unter Umständen von dem IS rekrutiert werden können, die Zielgruppe. Doch so wie sich die Inhalte unterscheiden, wie im Kapitel 5.4 beschrieben wird, so unterscheidet sich auch die Zielgruppe des IS. Im, schon im Kapitel 6.2.1.1 analysierten, Video zur Enthauptung des Journalisten James Foley, sehen wir gegen Ende den IS-Soldaten direkt in die Kamera sprechen. Dabei richtet er sich mit einer Anschuldigung direkt gegen die Vereinigten Staaten von Amerika: „As a government, you have been at the forefront of the aggression towards the Islamic State. You have plotted against us and have gone far out of your way to find reasons to interfere in our affairs.“ Hier kommt also eine weitere Zielgruppe dazu, die USA. Auch in anderen Videos oder Veröffentlichungen richtet sich der IS an die Bevölkerung einzelner Länder oder direkt an alle Kuffar (Ungläubige, Gottesleugner). Zur Zielgruppe der Ausländer zur Rekrutierung kommen also in einigen Fällen zweite weitere Zielgruppen hinzu: Die Bevölkerung eines Landes oder einer Region und die ungläubigen Kuffar. 

Ein großen Teil der Inhalte der Social-Media-Kampagne beinhalten Erklärungen zur Religion des Islams und Erzählungen aus der muslimischen Welt. Wie zum Beispiel auf der Seite inivtetoislam.org, welche von vielen pro-ISIS-Accounts verlinkt wurde (Account mittlerweile abgeschaltet). Diese Seite soll Nicht-Muslimen die Religion näher bringen und bietet sogar einen Weg an online zum islamischen Glauben zu konvertieren Danach kann sicher Nutzer noch für den Islam engagieren. Die Zielgruppe dieses Angebots sind also Nicht-Muslime.

Schnellerer Zugang zu Wissen

Immerhin über 50 Prozent aller Unternehmen halten einen „Schnelleren Zugang zu Wissen“ bei der Nutzung von Social-Media für wichtig (siehe Statistik Kapitel 6.2). Tatsächlich ist dieser schnellere Zugang zu Wissen ein wichtiger ökonomischer Vorteil von Social Media in der externen Kommunikation.74 Dazu gehört zum Beispiel das Anlegen von Wikis oder Nachschlagewerken, sowie die Nutzung von Bewertungs-, Auskunfts-, und Kreativportalen für die Nutzer. Der Auto Ralf T. Kreutzer teilt Social- Media in drei Nutzungsklassen auf (Kommunikation, Kooperation, Content-Sharing), wobei die genannten Tätigkeiten der Nutzungsklasse Kooperation zugeordnet werden. Laut dem Autor geht es hierbei primär um die Kooperation der Nutzer untereinander. 

Auch der IS, versucht sich darin Wissen für seine Nutzer zu organisieren. Nicht zuletzt dank der Schaffung der verschiedenen Medienhäuser, welche im Kapitel 2.3 bereits beschrieben wurden. Der im Kapitel 2.4 beschriebene Fall des John Cantlie zeigt derweil die Anstrengung welche der IS unternimmt, um zum Westen hin äquivalente Nachrichtenformate mit eigenen Inhalten zu schaffen und zu vermarkten. Im Gegensatz zu Unternehmen der freien Wirtschaft, nutzt der IS diese Form des Social-Media jedoch nicht nur für den schnelleren Zugang zu Wissen, sondern sie wollen auch eine Informationsquelle für die Nutzer schaffen, die Abseits der Mainstream-Medien statt findet. Monica Maggioni kommt in ihrem Aufsatz zu dem Schluss, dass die Erbauung der verschiedenen Medienhäuser dem Bedürfnis entspricht Informationssysteme zu schaffen, die Außerhalb der Mainstream Medien der Amerikaner und der Golf-Staaten funktionieren: 

„Ten years down the line – from 2005 and Musab Abu al-Zarqawi´s media center in Fallujah, all the way to here – the need is exactly the same: building a counter-information system so that citizens can „find information“ outside official networks managed by the usual protagonists – the Americans and the Gulf-States – each with their own specific agenda.“

Plattformauswahl

Der IS verlässt sich in seiner Social-Media-Strategie nicht nur auf eine einzige Plattform, statt dessen sind sie in einer Vielzahl verschiedener Plattformen und Kanälen aktiv. Die Wahl dieser Plattformen ist insofern interessant, als das sie sich relativ gut mit einer Statistik (siehe Abbildung 4) zu den meistgenutzten Plattformen von Unternehmen in der freien Wirtschaft deckt. Diese besagt, dass über 81% aller Unternehmen in Deutschland und der Schweiz Facebook für ihre Social-Media-Strategie nutzen. An zweiter Stelle nutzen über 78% Youtube und an dritter Stelle 66% Twitter. Auch der islamische Staat ist auf diesen drei Plattformen tätig. Anders als bei Unternehmen, ist die Lebenszeit eines Accounts sehr gering. Die sozialen Netzwerke sind schon lange auf die extremistischen Seiten aufmerksam geworden und löschen immer wieder neu hinzugekommene Profile. Ganz besonders Twitter macht es den Extremisten schwer und löscht unaufhörlich Accounts von denen aus Videos, wie die Enthauptung des James Foley, verbreitet werden. Auch während des Verfassens dieser Arbeit wurden immer wieder Accounts gelöscht, die zur Analyse herangezogen wurden. Der IS reagiert darauf mit dem immer wieder erneuten Anlegen von Accounts und der Verlinkung dieser Accounts untereinander, wie zu sehen in Abbildung 5. Der Nutzers Assalamu Alaikum Wa Rahmatullah hat nach der Löschung seines alten Accounts einen neuen eröffnet, was nun von einem befreundeten Nutzer (The Haqq Witness) verbreitet wird.

Inhalte

Die Inhalte der Nachrichten welche der IS verbreitet sind vielseitig und kohärent zu den Zielen der Strategie. Eine Content-Analyse zu 59 pro-ISIS Accounts der Autorin Jytte Klausen zeigte, dass am häufigsten Inhalte gepostet werden, welche die Anführer der Terrorgruppe, sowie tapfere Kämpfer und deren Fortschritt huldigen: 

„The result of the content analysis showed that, for the most part, the images—videos and photos—corroborated the ideological messaging of the texts posted. Pictorial content for the most part praised the leaders of the movement and provided verification of the victories of the jihadists and the forward march of the movement, while the enemy was denigrated and dehumanized.“

In den Abbildungen 6 und 7 sehen wir Beispiele für Inhalte die so oder so ähnlich häufiger Verwendung finden. Im ersten Bild wird einer der Kämpfer des IS gehuldigt, der im Kampf den Tot gefunden hat. Seine Leistung als Weltmeister im Chen-style Kung Fu wird durch passende Bilder hervorgehoben. Die Leiche des Mannes wird mit einem lächeln im Gesicht gezeigt, was den Islamisten als Beweis für das Ankommen im Paradies dient. Im zweiten Bild sehen wir dazu den Kontrast. Es wird ein Berg aus Leichen gezeigt, der lediglich mit den Worten „More Dead Shia Pigs“ bezeichnet wird. Die Shia sind eine andere Glaubensgruppe des Islams und verfeindet mit den zu meist sunnitischen Islamisten des IS. Auf dem Bild tritt ein IS-Kämpfer mit seinem Fuß auf den Leichen herum. Die Darstellung ist sehr grausam und entmenschlicht.

Fazit

Die Terrorgruppe IS hat bisher eine relativ erfolgreiche Social-Media-Strategie angewendet. Relativ deswegen, weil sich in letzter Zeit wieder ein Abwärtstrend erahnen lässt. Die Gruppe kann nicht so viele Menschen rekrutieren, wie sie es gern tun würde. Das hängt sicherlich auch mit den Schwierigkeiten zusammen, welche die Gruppe in den sozialen Medien hat. Fleißige Nutzer melden pro-ISIS Accounts und leiten damit die Löschung des Profils ein. Die sozialen Medien stellen sogar Leute ein, die nur dafür da sind solche Accounts zu löschen. Der IS wird es also wohl auch in Zukunft nicht einfach haben. Die alternativen Ideen wie das eigene soziale Netzwerk Kilafahbook sehen zwar vielversprechend aus, versinken aber meistens aufgrund fehlender Kompetenzen schnell wieder in der Bedeutungslosigkeit. Trotzdem sollte man sich nicht zu sehr in Sicherheit wiegen. Denn der IS hat gezeigt, dass er in der Lage ist eine professionelle Social-Media- Strategie zu erstellen und mit den erdachten Prozessen und Inhalten oft auch die gewünschte Reaktion zu erzielen.